Porträt des Monats: Joanne und Gérard, zwei Persönlichkeiten, engagiert für eine neue Sicht auf Autismus in Luxemburg

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Am 14/10/2025, von Maëlle Pinto veröffentlicht

Gérard et Joanne HASILUX

Das Verständnis von Autismus fördern, Inklusion stärken und konkrete Ressourcen teilen: Das ist die Mission von HASILUX, der Plattform, die von Joanne Theisen und Gérard Kieffer, beide aus Luxemburg, ins Leben gerufen wurde. Ihr Ziel ist es, eine bessere Inklusion im Bildungsbereich und künftig auch im Arbeitsumfeld zu ermöglichen, indem Ressourcen, Lösungen und Erfahrungen vernetzt werden.


Entdecken Sie die persönlichen Geschichten von Joanne und Gérard in diesem Porträt und erfahren Sie, wie sie dazu kamen, gemeinsam an einem so bedeutenden Thema zu arbeiten.



Zwei Wege, eine gemeinsame Vision


Alles beginnt mit zwei Personen mit unterschiedlichen Werdegängen, die jedoch beide vom gleichen Wunsch geleitet sind, zu helfen und etwas Positives zu bewirken.


Joanne Theisen, 36 Jahre, studierte Erziehungswissenschaften an der Universität Luxemburg und absolviert derzeit einen Master in Organisationsentwicklung und Inklusion in Deutschland. Sie arbeitete sieben Jahre lang in einer gemeinnützigen Organisation, wo sie für Kommunikation, Schulungen, Projektmanagement und Sensibilisierung zuständig war. Seit Mitte 2023 ist sie als selbstständige Beraterin und Trainerin mit Schwerpunkt Autismus tätig und engagiert sich als Botschafterin für nicht-sichtbare Behinderungen.


Gérard Kieffer, 44 Jahre, hat einen Abschluss in Management und arbeitet als selbstständiger IT-Berater und Trainer. Gleichzeitig ist er bei Akzent – Zenter fir accessibel Kommunikatioun als Experte für digitale Barrierefreiheit angestellt. Er leitete ein Schulungsprojekt zur Zugänglichkeit öffentlicher Einrichtungen und arbeitete zudem für die ASTI (Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés) an Vortrags- und Diskussionsprojekten zum Thema Migration.


Wir haben in derselben NGO gearbeitet und dabei ein gemeinsames soziales Interesse entdeckt“, erklären sie.


Doch es waren ihre ergänzenden Fähigkeiten, die sie schließlich zusammenbrachten, um dieses Projekt zu starten.



Die Entstehung von HASILUX


Die Idee zu HASILUX entstand 2024 bei einem Gespräch nach einem kombinierten Workshop, der Lesungen der luxemburgischen Autorin Isabelle Marinov, die Vorstellung der Tentacle Toolbox von Carla Carvalho und emotionale Regulierungsaktivitäten von Lis Thomé (Familljen-Center) sowie Joanne Theisen beinhaltete. Joanne erinnert sich: „Im Gespräch mit Isabelle Marinov, Carla Carvalho und Barbara Hippler stellten wir fest, dass es viele erfolgreiche Geschichten gibt. Es wäre spannend, diese mit Forschungsergebnissen zu verbinden, neue Ressourcen zu schaffen und sie für Menschen zugänglich zu machen, die Unterstützung benötigen.


Joanne, begeistert von der Idee, Informationen zu bündeln und zugänglich zu machen, verfasste ein 80-seitiges Dokument mit Ressourcen und Referenzen. Nach mehreren Rückmeldungen entschied sie jedoch, das Projektformat anzupassen:


Man sagte mir: Es ist eine gute Idee, sehr nützlich! Aber niemand wird ein 80-seitiges Buch lesen!


In diesem Moment wandte sich Joanne an Gérard.


Er war unglaublich motivierend und sagte mir immer wieder, dass wir es schaffen werden!


Dank seiner Expertise schlug Gérard vor, eine Website zu erstellen, um die Inhalte allen zugänglich zu machen. Im Herbst 2024 starteten sie das Projekt, unterstützt von der Œuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte, die Projekte von öffentlichem Interesse fördert. Offiziell ging HASILUX im Januar 2025 online.


HASILUX (Handbuch fir Autismus a Schoulinklusioun zu Lëtzebuerg) versteht sich in erster Linie als Instrument zur Sensibilisierung, Unterstützung und zum Teilen von Wissen. Die Plattform umfasst drei Hauptbereiche:


  1. Ressourcen und Erfahrungsberichte von autistischen Freiwilligen, ihren Angehörigen und Fachleuten;
  2. Ein Verzeichnis von Organisationen und Ansprechpartnern zum Thema Autismus und Inklusion;
  3. Eine FAQ, die derzeit entwickelt wird.


Zukünftig sollen auch multimediale Inhalte wie Podcasts oder Videos integriert werden.


Für Gérard ist HASILUX vor allem ein „Handbuch für Autismus und Bildung in Luxemburg“. Obwohl der Weg nicht ohne Herausforderungen war, etwa die Koordination von Freiwilligen, die Verwaltung der Informationsflut und technische Aspekte, bestätigen positive Rückmeldungen von Nutzern und die Unterstützung von Partnern den Erfolg der Plattform.


Zu sehen, dass unsere Website von der Zielgruppe genutzt wird, ist die beste Belohnung. Sie funktioniert und ist nützlich.


Die Plattform wird heute intensiv von dem nationalen Ministerium für Bildung genutzt, und das Duo wurde sogar zur Inklusionstagung OEJQS 2025 am 23. Oktober eingeladen : Eine schöne Anerkennung.


Ein Blick auf die Plattform HASILUX



Autismus in der Arbeitswelt


In Europa ist etwa 1 von 100 Personen von Autismus betroffen (Autism-Europe, 2017), was in Luxemburg rund 6.000 Menschen entspricht (laut Fondation Autisme Luxembourg). Allgemeiner geben knapp 15 % der luxemburgischen Bevölkerung an, eine Behinderung zu haben (Volkszählung 2021), jedoch ist ihre Beschäftigungsquote deutlich niedriger als die von Menschen ohne Behinderung. Ende 2023 wurden 7.227 Beschäftigte oder Arbeitssuchende mit anerkanntem Behindertenstatus in Luxemburg gezählt.


Während das Thema Autismus die Gesellschaft insgesamt betrifft, bleibt die Arbeitswelt ein besonders sensibles Terrain. Das bestätigt Joanne, die im Alter von 26 Jahren als autistisch diagnostiziert wurde. Ihr Einstieg ins Berufsleben war herausfordernd, insbesondere während Praktika und erster Arbeitsstellen, da sie keinerlei angepasste Unterstützung erhielt.


Ich kannte mein sensorisches, kognitives, kommunikatives und soziales Profil nicht, kurz gesagt, ich wusste nichts über meine Funktionsweise, meine Bedürfnisse und meine Grenzen. Ich habe versucht, mich wie die anderen zu verhalten, aber das hat nicht funktioniert.“ 


Heute weiß sie, dass es sinnlos und erschöpfend ist, allein ohne Unterstützung und ohne Anpassung der Umgebung zurechtkommen zu wollen. Hindernisse bleiben zahlreich, wie Vorstellungsgespräche, implizite Kommunikation, gesellschaftliche Normen, sensorische Überlastung, organisatorische Schwierigkeiten, fehlende Sensibilisierung, Stress- oder Konfliktbewältigung. Mit einigen Anpassungen, wie Arbeitsplatzgestaltung, persönliche Begleitung, klare Kommunikation, Respekt und Wertschätzung unterschiedlicher Kompetenzen und vor allem das Zuhören, können diese Barrieren schnell verschwinden.


Als Selbstständige kann Joanne ihre Arbeitszeiten, Arbeitsorte, Arbeitsbedingungen, Kollegen, Partnern und Kunden selbst wählen, was ihre Produktivität und mentale Gesundheit unterstützt.


Beispiele für Joannes Arbeitsumgebung



Unternehmen und Inklusion


Für Joanne und Gérard bleibt die größte Herausforderung fehlende Sensibilisierung. Viele Arbeitgeber denken, es gäbe fertige Lösungen, dabei handelt es sich eher um einen kontinuierlichen Prozess der Begleitung und Weiterentwicklung, beginnend beim Onboarding, basierend auf gegenseitigem Zuhören und Anpassung. Autismus ist ein Spektrum. Jede Person ist anders, und es gibt keine universelle Lösung. Unternehmen können sich von Fachleuten oder autistischen Personen begleiten und schulen lassen.


Tagesordnungen der Meetings im Voraus verschicken, Aufgaben und Verantwortlichkeiten klarstellen, regelmäßiges Feedback geben, eine Kultur der Vielfalt entwickeln, Kommunikations- und Interaktionspraktiken analysieren“, rät Joanne.
Gérard ergänzt: „Man sollte Hindernisse nicht als Problem sehen, sondern als Chance, gemeinsam Lösungen zu finden.


Seiner Meinung nach leidet die Arbeitswelt unter einem generellen Mangel an Diskussionen über Diversität, sei es in Bezug auf Alter, Berufserfahrung, Sprache oder Ausbildung. In Luxemburg fördern Initiativen wie die Charte de la Diversité oder die Diversity Awards inklusive Praktiken, doch es bleibt noch viel zu tun.


HASILUX möchte diesen Mentalitätswandel unterstützen und zur Entwicklung einer Gesellschaft beitragen, die Diversität wertschätzt und die Rechte sowie Kompetenzen jedes Einzelnen fördert. Joanne und Gérard engagieren sich für aktive, informierte, konkrete und differenzierte Inklusion, die sowohl Sensibilisierung als auch Anpassung umfasst.


Einige Buchempfehlungen zu Autismus und Arbeit von Joanne und Gérard



Die Botschaft von Joanne und Gérard


Joanne ermutigt autistische Menschen, ihr Profil, ihre Bedürfnisse und Stärken zu kennen, Unterstützung zu suchen und Berufserfahrungen zu sammeln.


Es gibt immer Lösungen, gebt nicht auf! Wenn ihr Lösungen findet, teilt sie mit anderen. Lachen, jeden Erfolg feiern und Unterstützung erfahren hilft enorm.


Gérard hofft, dass Arbeitgeber erkennen, dass über spezifische Bedürfnisse zu sprechen kein Tabu ist, sondern ein Hebel, um besser zusammenzuarbeiten.


Mit HASILUX sensibilisieren Joanne und Gérard nicht nur, sondern schaffen einen Raum, in dem die Stimmen autistischer Menschen gehört und geschätzt werden. Ihr Engagement zeigt, dass Inklusion und Leistung sich nicht ausschließen, und wer Unterschiede versteht, gestaltet eine menschlichere und gerechtere Arbeitswelt.



Lesen Sie auch: Das Interview mit Patrick Simon, Kommunikations- und PR-Beauftragter der Fondation Autisme Luxembourg.



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